Die Referenzen
"Es war mir sehr wichtig, meine Erinnerungen aufzuschreiben. Ich wollte sie vor dem eigenen Vergessen
bewahren und gleichzeitig meinen Kindern und Enkeln meinen Lebensweg aufzeigen, der mich zu dem
gemacht hat, der ich heute bin. Frau Starke war mir eine große Hilfe, alle Gedanken, Erinnerungen, Fotos
und Dokumente zu ordnen und in meine Geschichte einzuarbeiten. Unsere Treffen sind mir in sehr
angenehmer Erinnerung.”
J.A.v.P.
Leseprobe
„Es zog mich heim zu meinen Eltern und meinen Geschwistern. Der direkte Weg war zu gefährlich und
schwierig. Mein Plan war, mich auf Usedom einzuschiffen und über die Ostsee nach Danzig zu gelangen.
Ich besorgte mir Kleidung, mit der ich auch im Freien übernachten konnte. Im August 1945, ich war
inzwischen 21 Jahre alt, kaufte ich mir eine
Fahrkarte und nachdem ich am Bahnhof noch
einen Teller mit Suppe, das hieß warmes Wasser
mit ein paar Brocken Gemüse darin, gegessen
hatte, bestieg ich den Zug. Meine Reise führte von
Berlin aus gen Norden, über Neustrelitz und
Neubrandenburg bis nach Swinemünde. Beim
Umsteigen traf ich auf unzählige Menschen, die
gen Westen wollten. Aus Angst vor Überfällen und
zur besseren Kontrollmöglichkeit, ließen die
Russen die Züge nur tagsüber fahren. Ich und
andere übernachteten in den abgestellten Zügen.
Hunger und Angst waren ständige Reisegefährten.
Die Zugfahrt endete in der Nähe der Ostsee. Ich schlug mich querfeldein Richtung Küste durch. Als ich
aus einem Wald heraus trat, sah ich im Licht der tief stehenden Nachmittagssonne am Ende des vor mir
liegenden Stoppelfeldes eine Kette von unzähligen russischen Soldaten. Im Abstand von zehn bis zwanzig
Metern durchkämmten sie das gesamte Gelände. Weglaufen war sinnlos, sie kamen direkt auf mich zu.
Aber ich war noch nicht entdeckt worden. Schnell duckte ich mich und versuchte, alle hellen
Kleidungsstücke abzudecken. Um mich herum waren Getreidebündel zum Trocknen aufgestellt. Es gab
keine andere Möglichkeit, ich krabbelte schnell zu einem hin und drückte mich in das Getreide hinein. Wie
in einer Höhle saß ich darin und lauschte angespannt. Als ich die ersten Stimmen vernahm, erstarrte ich.
Nicht mehr bewegen und bloß nicht niesen oder husten! Die Soldaten kamen näher, ich konnte die
Gespräche hören und ihre Schritte auf den abgemähten Getreidestoppeln. Doch das Glück war auf
meiner Seite: Sie waren mit sich beschäftigt, gar nicht so sehr mit ihrer Umgebung, die Abendsonne
schien ihnen ins Gesicht und sie hatten keine Hunde dabei – sonst hätte ich keine Chance gehabt. Die
Menschenkette passierte mich, ich hockte regungslos in meinem Versteck und wagte kaum zu atmen.
Lange nachdem ihre Stimmen verklungen waren, kroch ich aus dem Getreidebündel. Um mich herum
Stille im Abendlicht. Von den Russen war nichts mehr zu sehen.“
© Werkstatt für Biografie – Eike Starke – 2013 / 2018
Die Fahrkarten von damals - ich habe sie aufbewahrt.
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